
Wenn jeder Schritt schmerzt – Shin Splints aka Schienbeinkantensyndrom
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Shin Splints, abgekürzt als MTSS (aus dem Englischen: Medial Tibial Stress Syndrome), beschreibt einen Schmerzzustand entlang der inneren Tibiakante, die typischerweise durch wiederholten Stress auf die Knochenstruktur entstehen. Die Beschwerden treten vor allem bei Sportlern auf, die die Belastung zu schnell steigern – zum Beispiel durch eine plötzliche Erhöhung der Laufdistanz oder -intensität. Der Schmerz äußert sich meist als dumpfer, ziehender Schmerz, der sich während oder nach dem Training, insbesondere nach hochintensiven Belastung mit hohem Volumen, z.B. Sprünge und Richtungswechsel auf hartem Boden, verstärken kann.
Symptome
MTSS äußert sich für gewöhnlich durch:
· Schmerz entlang der inneren Tibiakante: Der Schmerz tritt meist im unteren Drittel des Schienbeins über eine Strecke von mindestens fünf aufeinanderfolgenden Zentimetern auf. Er lässt sich durch Druck entlang dieser Linie provozieren.
· Belastungsabhängiger Schmerz: Die Beschwerden nehmen bei körperlicher Aktivität zu – besonders beim Laufen oder nach intensiven Sprung- und Richtungswechselbelastungen.
· Schwellung: Anders als bei anderen Verletzungen tritt bei MTSS eher selten und nur in schweren Fällen eine Schwellung auf.
· Schmerzlinderung in Ruhe: Die Schmerzen lassen oft in Ruhephasen nach, kehren jedoch bei erneuter Belastung zurück.
Ursachen & Pathophysiologie
Die Hauptursache für MTSS ist die wiederholte mechanische Überlastung des Schienbeins und umliegender Strukturen – insbesondere, wenn die Knochenstruktur der kumulierten Belastung nicht gewachsen ist. Dies kann zu einer Entzündung des Periosts (Knochenhaut) führen und im weiteren Verlauf auch ein Knochenmarködem oder eine Stressfraktur zur Folge haben. Folgende physiologische Mechanismen spielen eine entscheidende Rolle:
- Muskuläre Ermüdung: Ermüdet die Muskulatur im Bereich von Hüfte, Oberschenkel und Unterschenkel, nimmt deren Fähigkeit zur Stoßdämpfung und Stabilisierung ab. Die daraus resultierende Mehrbelastung des Schienbeins begünstigt die Entstehung von MTSS.
- Überlastung und Mikrotraumata: Durch wiederholte Krafteinwirkung beim Laufen oder Springen entstehen mikroskopisch kleine Schäden an der Knochenstruktur. Diese Mikrotraumata heilen – bei fehlender Adaptation – nicht ausreichend aus und summieren sich – es entsteht ein Entzündungsprozess.
- Knochenumbau: Die Tibia durchläuft eine kontinuierliche Anpassung an mechanische Belastung. Wenn Trainingsintensität und -umfang jedoch das Anpassungsvermögen des Körpers überschreiten, kann es zu Periostreizungen, Knochenmarködemen und im schlimmsten Fall zu Stressfrakturen kommen.
Risikofaktoren
Zahlreiche intrinsische und extrinsische Faktoren erhöhen das Risiko für MTSS. Unter anderem sind folgende Faktoren mit einem erhöhten Auftreten assoziiert:
· Weibliches Geschlecht
· Frühere MTSS-Problematik
· Geringere Lauferfahrung
· Erstmalige Nutzung oder neue Schuh-Einlagen
· Erhöhter BMI
· Gesteigerter "Navicular Drop" (Absenkung des Fußlängsgewölbes)
· Vergrößerter Außenrotationswinkel in der Hüfte bei Männern
Weitere klinisch relevante Faktoren aus der Praxis:
1. Trainingsbelastung:
Ein sprunghafter Anstieg von Laufdistanz oder -intensität ist einer der häufigsten Auslöser für MTSS. Der Körper benötigt Zeit, um sich an neue Belastungen anzupassen.
2. Schuhe:
Ein plötzlicher Wechsel zu Schuhen mit weniger Dämpfung oder schlechter Passform kann die Belastung auf das Schienbein erhöhen.
3. Muskuläre Dysbalancen und Schwäche:
Besonders Schwächen in der Waden-, Bein- oder Rumpfmuskulatur führen zu einem unzureichenden "Stoßdämpfer"-Effekt. Die Folge: eine Überlastung der Tibia.
Therapieansätze
1. Ruhe und Belastungssteuerung:
Zunächst muss die Trainingsintensität reduziert oder angepasst werden. Dies kann durch verringerten Laufumfang oder eine vorübergehende Umstellung auf alternative Sportarten wie Schwimmen oder Radfahren geschehen. Komplette Ruhe ist selten erforderlich – die Reduktion von Stoßbelastungen hingegen essenziell.
2. Kräftigungsübungen:
Gezielte Übungen zur Stärkung der Unterschenkel-, Oberschenkel-, Gesäß- und Rumpfmuskulatur verbessern den natürlichen "Stoßdämpfer"-Effekt – gleichzeitig fördern sie die Anpassung der Knochenstruktur.
3. Graduelle Rückkehr zur Aktivität:
Ein strukturiertes "Return-to-Play"-Programm ist entscheidend, um erneute Verletzungen zu vermeiden. Beginnend mit schmerzfreiem Gehen über lockeres Joggen wird die Belastung langsam gesteigert – immer angepasst an das individuelle Schmerzlevel. In der späteren Rehabilitationsphase werden sportartspezifische Bewegungen und Sprungübungen integriert.
4. Begleitende Maßnahmen:
Neben den konservativen Hauptmaßnahmen können ergänzende Behandlungen zum Einsatz kommen:
· Kälte und NSAIDs: Kühlung und entzündungshemmende Medikamente können Schmerzen lindern, behandeln jedoch nicht die Ursache. Zudem können NSAIDs die Knochenheilung negativ beeinflussen.
· Stoßwellentherapie: Diese Therapieform kann bei chronischen Verläufen unterstützend wirken, bei denen alle oben genannten Methoden nicht ausreichend anschlagen.